"Arbeit macht frei!" - ein Schlaraffenland?

- zum Tag der Arbeit - und dem denkwürdigen Tag davor

Auch wenn der denkwürdige Spruch nicht von ihm stammt, sondern der Titel eines vor 140 Jahren erschienenen Romans des deutschnationalen Autors Lorenz Diefenbach ist, so erlangte er doch durch dessen unüberbietbare Umsetzung bzw. Perversion in den KZs unter dem unumschränkten "Führer", dessen Todestag sich gestern, am 30. April, zum 67. Mal jährte, traurige Berühmtheit. Arbeiten um zu leben, oder leben um zu arbeiten, oder gar arbeiten um zu sterben, wie in Dachau und anderswo (nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal in der Geschichte, dafür aber mit deutscher Gründlichkeit) vorexerziert? - Das ist hier die Frage.

"Stacheldraht, mit Tod geladen,

ist um uns're Welt gespannt.

D'rauf ein Himmel ohne Gnaden

sendet Frost und Sonnenbrand.

Fern von uns sind alle Freuden,

fern die Heimat, fern die Frau'n,

wenn wir stumm zur Arbeit schreiten,

Tausende im Morgengrau'n.


Vor der Mündung der Gewehre

leben wir bei Tag und Nacht.

Leben wird uns hier zu Lehre,

schwerer als wir's je gedacht.

Keiner mehr zählt Tag' und Wochen,

mancher schon die Jahre nicht.

Und so viele sind zerbrochen

und verloren ihr Gesicht. [...]"


Jura Soyfer im KZ Dachau, 1938



Wenn man es nicht mit der simplen Logik eines Halbwüchsigen betrachtet, den das Lernen nicht freut und der sich sagt, ich gehe lieber arbeiten, dann verdiene ich mein eigenes Geld und bin frei, dann kommt einem wirklich smarten Kopf doch bald der Gedanke, dass es ja eigentlich auch anders gehen müsste, z.B. mit dem Geld von anderen, mit ein wenig Erpressung von Schwächeren, Drogenhandel, kleinen Schwindeleien (ja wenn die anderen so blöd sind und das nicht merken...) etc. - Arbeit ist doch was für die Blöden! Ich bin so smart, ich brauche nicht arbeiten - die Arbeit der anderen, der Dummen, macht mich frei.

Die Welt der Menschheit hat sich schon immer darum gedreht, mit weniger Aufwand das Selbe zu erreichen, bzw. mit dem selben Aufwand mehr, also erfolgreicher zu sein als andere, von Jakob und Esau, dem Ackerbauern und Viehzüchter gegenüber dem Jäger und Sammler angefangen über Träumereien über das Schlaraffenland, in dem überhaupt keine menschliche Arbeit mehr nötig ist, bis zu voll automatisierte Fabrikhallen, in denen tatsächlich kein einziger Arbeiter mehr anzutreffen ist. Sind wir also nun am Ziel der Verheißung? Wenn nein, warum nicht? So vom Weltall betrachtet, möchte man doch bestaunen, wie's doch der Mensch in seinem Streben so herrlich weit gebracht, dass er nicht mehr selber arbeiten muss. Wieso gibt es da Abertausende, die auf ihr Recht auf Arbeit pochen?? Wer soll denn schon arbeiten WOLLEN, wenn das auch die Roboter und Computer machen können oder ihre Tätigkeit sogar gänzlich obsolet geworden ist und sie sich deshalb stetig etwas Neues zu arbeiten erfinden müssen, wonach bisher niemand gefragt hat, wie z.B. das Tamagochi?? Keine Sorge, noch sieht es grundsätzlich nicht danach aus, dass uns die Arbeit wirklich endgültig abgenommen wird (man denke an den Arbeitsaufwand beim Waschen oder Kochen einst und jetzt), sie verlagert sich nur. Aber einige Berufe und eingesessene Leerlauftätigkeiten in Geschützten Werkstätten, Verwaltungsebenen oder Amtsstuben fallen der gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Entwicklung anheim, weil sie einfach nicht mehr gebraucht werden - sofern sie überhaupt jemals gebraucht wurden - und der postmoderne Datenjäger und -Sammler reklamiert sein wohlerworbenes Recht auf Arbeit...

Was ist also nun überhaupt Arbeit, um die so verbissen gekämpft wird, obwohl jeder froh wäre, wenn er sie an den Nagel hängen könnte?

- physikalisch gesehen ist Arbeit die Kraftanstrengung über einen Weg, d.h. es gibt ein Resultat, nämlich dass ein Gegenstand nach der verrichteten Arbeit nicht mehr dort ist, wo er vorher war oder nicht mehr so aussieht wie zuvor etc. Das kann man sich ja auch mal auf die menschliche Arbeit umlegen. Was macht diese Arbeit sinnvoll? Einen Gegenstand unter Kraftaufwendung von A nach B zu transportieren? Wieso sollte ich das denn tun? Naja, wenn mich jemand dafür bezahlt, kann ich das schon machen. d.h., wenn es eine Nachfrage gibt, es also für jemanden wert ist dafür zu zahlen. D.h. ich mache etwas, was für jemand anderen einen Nutzen darstellt und bekomme dafür etwas anderes, was für mich von Vorteil ist. Und da tauchen bei so manchen "Leistungsträgern" Fragen auf, wenn auch nicht unbedingt bezüglich der angefragten Leistung, sondern eher, wieso ich sie von diesem kaufen soll und nicht von einem anderen, der dieselbe Arbeit besser, schneller, zuverlässiger oder billiger macht. Oder es gibt für die angebotene Arbeit überhaupt keine Nachfrage, weil dabei eigentlich gar nichts von A nach B bewegt wird oder die Anstrengung dafür so minimal ist, dass die damit verrichtete Arbeit eben auch gegen null geht und, zumindest nicht aus der Sicht der anderen, eben auch entsprechend wenig wert ist.

Was ist nun also ein Wert, für den jemand anderer bereit ist zu zahlen? Steigt der Wert durch jede verrichtete "Arbeit"? - z.B. wenn eine Sache über eine Kette von vier Briefkastenfirmen gehandelt wird oder ein Container über fünf Ecken unter Einsatz von viel Energie quer durch Europa gekarrt wird? Durch Amtsschimmel, Protektionismus oder Korruption? Hat sich das Produkt in Ihren Verbraucherhänden dadurch verbessert? Wohl kaum. Für wen sonst steigt der Wert? Für einen "Stakeholder" natürlich. Für wen wird also letztlich ein bestimmtes Produkt überhaupt erzeugt, wenn nicht für den Verbraucher, der es schließlich kauft und nutzt? Das Produkt kann also offenbar auch einen ganz anderen Sinn haben als einen Wert für den Kunden, etwa bei einem Scheingeschäft oder bei Geldwäsche, Förderungsmissbrauch etc. Das ist gemäß dem weithin anerkannten und auch von den Wirtschaftskammern vertretenen Dogma zufolge auch vollkommen OK, denn der eigentliche Zweck eines Unternehmens, so hört man gebetsmühlenartig, ist es Gewinn zu machen und nicht, ein für den Kunden wertvolleres Produkt auf den Markt zu bringen.

"Value Creation" (hört sich doch gleich professioneller an als Wertschöpfung) setzt solcherart keine tatsächliche Arbeit mehr voraus, zumindest nicht aus Kundensicht, und alles, was zusätzlich mit dem eigentlich bestehenden Produkt geschieht, kann es nur teurer machen und also aus ökonomischer Sicht des Kunden, der im Endeffekt dafür zu zahlen hat, keinen Nutzen bringen.

Der Nutzen muss also auf Seiten des Anbieters liegen, etwa wenn er das existierende Produkt trotz vordergründigen Einnahmeverlusts vom Markt fernhält, um den Bestand knapper und damit relativ wertvoller zu machen, wie etwa am Immobilienmarkt oder im Rohstoffhandel, als z.B. letztes Jahr ein "Investor" einen ansehnlichen Teil der Kakaoernte zu diesem Zweck aufkaufte. Hat sich dadurch der Kakao im Supermarktregal verändert? Ist ein Haus nun jedes Jahr mehr wert, obwohl es ständig abgenutzt wird? Das ist die Logik der Spekulanten - bis zur nächsten Blase, und die kommt bestimmt, wenn es die Nachfrageseite irgendwann nicht mehr "derblast", wie in der Subprime-Krise in den USA 2008 und seither in Spanien, zusätzlich angefacht damals wie heute von den gestiegenen Energiepreisen. Dann rasseln die Preise in den Keller, zumindest so weit, dass all jene, die bei diesem Spiel der "Wertsteigerung" mitgepokert haben, ihre Karten auf den Tisch legen und zugeben müssen, dass sie geblufft haben und ihre Karten in Wirklichkeit nichts wert waren. Dann spricht man von Verlust, und die meisten Spieler und vielleicht sogar die Spielbank sind pleite.

Ist Poker Arbeit? In den meisten Definitionen von Arbeit wohl kaum, denn außer dass der Wert von Arbeit im Sinne von Geldwert umverteilt, in gewisser Weise sogar "vernichtet" werden kann, passiert am Pokertisch nicht recht viel erkennbar verrichtete Arbeit. Den Wert von Arbeit kann man jedoch auch auf viele andere Weisen vernichten, der effektivste ist sicher Krieg... Ist also Kriegsdienst Arbeit?? Im physikalischen Sinne ja, im ökonomischen: ja, denn auch hier gibt es Leute, die davon profitieren und für die es infolge dessen trotz aller Zerstörung die Sache wert ist, bis zum letzten Mann, und der bin ich selber. Von Frauen reden wir gar nicht. Und von verbrannter Erde auch nicht.

Ist damit erkennbar, warum diese Überlegungen zur Arbeit hier bei BonNovos Gedanken zur Nachhaltigkeit von Bedeutung sind?

Weil solcherart das Verständnis von Arbeit und dessen Auswirkungen in der Wirtschaft einiges mit Nachhaltigkeit zu tun haben, wenn einerseits unnötige Arbeit verrichtet wird, andererseits aus gesellschaftlicher Sicht auch echte durch Arbeit geschaffene Werte vernichtet werden können. Denn:

- Physikalisch braucht Arbeit die äquivalente Energie! Wofür setzen wir sie also ein? Für Scheinwerte? Welchen Wert hat Arbeit und die dafür aufgewendete Energie? Diese Fragen sind nicht nur umweltpolitisch wichtig, sondern auch wirtschaftlich - und sozialpolitisch! Eine Wirtschaft, die nicht versucht mit weniger Arbeit auszukommen, d.h. dasselbe Produkt mit weniger Aufwand, also effizienter herzustellen, kann letztlich nicht sehr viel weniger Energie verbrauchen und somit auch weder ökologisch noch ökonomisch langfristig überleben.

Das Missverständnis: ohne ECHTE Restrukturierung durch Innovation kann es keine Effizienzsteigerung und damit keine Reduzierung des Aufwandes geben: Arbeitbeschaffung - nur wer bezahlt dafür? Also: Mitarbeiterabbau als Bestätigung der Effizienzsteigerung. Das Management tut zum Nachweis des eigenen Erfolgs zwanghaft so, als wären die Abläufe rationeller geworden - und "rationalisiert" oder "stellt frei", während es aus immer weniger noch verbleibenden "Mitarbeitern" die letzte Sekunde herausquetscht.

Wenn ein Sprinter 100m in 10 Sekunden schafft, in welcher Zeit schafft er dann den Marathon? - gar nicht. Wieso? - schwer zu erraten: weil er den Sprint keine 200m durchhält. Darum brauchen wir Doping, auch wenn es nicht ganz in Ordnung ist. Und FALLS sie uns erwischen, schmieren wir die Schmier. Ist immer noch billiger als regeltreu zu operieren in diesem Wettbewerb. Das ist das Denken der Manager, denen Bonusse winken, wenn sie die Working poor, die noch auf der Produktionsstraße stehen, einen nach dem anderen abwinken und sie auf die Straße ohne Produktion setzen.

Wer ist der wahre Leistungsträger, der Wert schafft? Was ist Wert? Für wen?

Die neuen EU-Buchhaltungsregeln etwa wurden nun an die der USA angeglichen, und beschränken sich einzig und allein auf für Investoren interessante Zahlen"werte", selbst wenn das Unternehmen überhaupt keine Hereinnahme von Investoren beabsichtigt , um sich "restrukturieren" zu lassen.

Auf der anderen Seite: Selbst wenn ein Unternehmen also den Zwang zur Effizienzsteigerung nicht mit immer mehr Druck auf immer weniger Mitarbeiter bewerkstelligt, sondern mit gleich vielen oder sogar mehr Mitarbeitern mit besserer Technologie und besserer Organisation noch mehr Produkte produzieren und zu besseren Konditionen an den Kunden bringen kann: wer soll einen Overhead erhalten, einen antiquierten Buchstabensetzer oder einen Amtsschimmelzuchtmeister, der mehr hindert als er hilft? Eine ehrenwerte Gesellschaft, deren Daseinsberechtiogung ist, dich vor ihr selber zu schützen, sofern du gefügig bist? - d.h. "Arbeit", für die es keine Nachfrage (mehr) gibt oder bestenfalls eine künstlich erzeugte? Was sind deren "wohlerworbene Rechte" in einer Welt, in der am besagten Marathon die ganze Welt teilnimmt?

Stellen Sie sich vor, bei einem Marathon werden die Besten nicht zugelassen, damit Unser Mann sicher gewinnt. Und sollte trotzdem wider alle Planungen und Erwartungen jemand anderer gewinnen, wird er nachträglich disqualifiziert und zur Befriedigung der Massen, die sich dank Unterhaltungsindustrie lieber mit Pseudohelden in Pseudo-Actiondramen identifizieren als sich mit echten Problemen des eigenen Lebens oder dem anderer auseinanderzusetzen, den Löwen vorgeworfen - panem et circenses, heute lebendig wie seit den Tagen Kaiser Neros, der sich auch der Realität verweigerte und sein ganzes Reich dafür büßen ließ. So wie manche heute, die nicht wahrhaben wollen, dass sie in Wahrheit mit anderen nicht mithalten können und ihre Arbeit daher nicht (mehr) gefragt ist - und nicht verstehen können, warum daher ihre Teilnahme am Wettbewerb nicht genauso viel wert ist wie die der Gewinner.

Für manche heißt die Devise "To be Number One", für andere einfach "Dabeisein ist alles". Während für alle der Ersteren außer einen der Wettbewerb mit einer Enttäuschung enden muss, müssen sich auch die Letzteren damit anfreunden, dass man das Ziel nur erreicht, wenn man auch wirklich läuft und nicht nur theatralisch auf dem Stand so tut als ob und sich und seinem Sponsor dabei noch vorspiegelt, man wäre auf dem Weg zum Sieg - und auch damit, dass das Preisgeld vom Punkterang abhängt.

Wenn man sich etwa das heutige Highlight der internationalen Fußballwelt, das Manchester Derby, vor Augen hält, sieht man, dass es ja auch Teamsportarten gibt, bei denen noch ganz andere Fähigkeiten als rein körperliche eine bedeutende Rolle spielen, ohne die man nicht gewinnen kann.

Jeder ist ersetzbar?? Grundsätzlich ja - solange er tatsächlich ersetzt wird und nicht aus der Elf eine Zehn wird, dann eine Neun usw. Wer übrig bleibt, hat gewonnen?? Und der Verein?

Würde der Sponsor sagen, "wir sparen uns einen Spieler"? Würden zehn Spieler den elften hinausdrängen, um sich dessen Gage zu teilen? Würde der Coach sagen, "ihr müsst halt jetzt schneller laufen"?

Im wirklichen Leben abseits des reglementierten Sports sind die Regeln für die Teilnehmer am Wettbewerb oft nicht so klar, fair und auch nicht einklagbar, und für viele ist ihre Welt gar nicht mehr so weit von der Jura Soyfers entfernt, wenn zumindest in Europa immerhin doch nur bildlich gesprochen, jedoch für viele existenzbedrohend genug.

Für eine Welt, die so lebt und arbeitet, dass unsere Kinder eine schönere und lebenswertere Welt vorfinden als wir selber dafür ist es wert zu arbeiten, und dafür steht und arbeitet

BonNovo

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Zum Abschluss noch ein anderer Aspekt von Arbeit, ohne den in keiner Kultur weltweit die Wirtschaft aufrecht zu erhalten wäre: der unbezahlte und leider oft noch unbedankte Beitrag der Mütter, die dafür in vielen Kulturen dazu noch recht- und mittellos und sogar Misshandlungen durch ihre oft nicht selbst frei gewählten Ehemänner und dessen Familie ausgesetzt sind.

Nachdem ja auch bald Muttertag ist (zumindest im deutschen Sprachraum) und die Mütter fast auf der ganzen Welt meist die sind, auf denen die meiste als selbstverständlich betrachtete Arbeit im Hotel Mama hängen bleibt, möchte ich mich voller aufrichtiger Anerkennung mit einer kleinen Bitte verabschieden: "Mutti, ich kann dir nicht zuschauen, wie du dich abrackerst! - Könntest du bitte die Türe zumachen?"

Beste Wünsche für einen geruhsamen Tag der Arbeit und einen würdigen Muttertag,

Wolfgang Novacek